Holocaust-Überlebende bringen Jugend ihre Geschichte nah

Vergangenheit in die Gegenwart geholt: Vor der Klasse 9b der Oberschule  Oelsnitz traten gestern zwei Juden auf und berichteten über ihr Leben. 


OELSNITZ - Als die kleine Frau ins Foyer kommt, fallen ihr sofort Länderfahnen auf, die an der Decke hängen. Gleich auf den ersten Blick sieht sie: „Da fehlt eine. Unsere Fahne, die von Israel. Das verstehe ich nicht und finde es sehr schade.“ Es ist so still im Klassenzimmer, dass man hören könnte, wenn eine Stecknadel zu Boden fällt. Trotzdem macht es Mühe, die leise Stimme von Gerda Steinfeld zu verstehen. Mit einem „Shalom!“ begrüßt sie die Schüler und sagt: „In so einem Moment wie jetzt bin ich immer sehr bewegt. Ich möchte euch von meinem Leben erzählen.“ Ihr Geburtsjahr ist I933, jene Zeit, in der die Nazis an die Macht kamen und Unheil über die Welt zu bringen begannen. Und Gerda Steinfeld hat sie erlebt: die Jahre der Judenverfolgung, Judenvertreibung und Judenvernichtung. Schlimme Jahre auch für die Familie Steinfeld aus Hannover, für das Kind unvorstellbare Normalität.

„Wenn die Erwachsenen von der guten alten Zeit erzählt haben, dann wusste ich nicht, was sie damit meinten. Mein Vater war begeistert von Deutschland, seine Heimat. Er hatte sich sogar freiwillig zum Ersten Weltkrieg gemeldet und verlor als 18-jähriger ein Bein. 193 5 wurde er als Bankangestellter aus dem Dienst geschmissen. Ich kannte doch nur Schilder, was für uns Juden verboten ist: kein Radio, kein Auto, keine Wertsachen, keine Schule. Dabei wollte ich doch so gerne etwas lernen. Sogar meinen Kanarienvogel durfte ich nicht behalten. Ich habe die Nazi-Lieder nicht verstanden und warum wir nicht mehr in unserer Wohnung bleiben durften.“

Es ist, als sei all das, woran sich Gerda Steinfeld erinnert, was sie den Schülern mit bewegter erzählt, erst gestern geschehen. Es hat sich in ihr Gehirn eingefräst: der Judenhass, der Stern, den sie schon als Sechsjährige tragen musste, das Sammellager bei Hannover, das sie „Vorstufe zum Ghetto“ nennt. „Im Juni 1942 wurden wir nach Theresienstadt gebracht. Dort waren über 60.000 Menschen.“ Wie gebannt hängen die Schüler an ihren Lippen, als Gerda Steinfeld die Entlausung beschreibt, die dünne Suppe, pro Tag zwei Scheiben Brot. Es waren unzählige Erwachsene, die zugrunde gingen an der schweren Arbeit, Schwäche, Durchfall. Der Atem stockt, so unvorstellbar ist es: „Vor allem die alten Leute sind gestorben wie die Fliegen. Und wir Kinder? Wir wollten doch nur spielen wie andere Kinder auch. Weil wir aber nichts hatten, haben wir Verstecken hinter den Leichen gespielt. Wie schlimm das war, habe ich erst später begriffen.“ Drei grausame Jahre im Leben des Kindes. Sie sah, wie Menschen, Juden wie sie und ihre Familie, zu Tausenden Richtung Osten deportiert wurden, nach Birkenau und Auschwitz. Was mit ihnen passierte, wusste sie nicht, erfuhr es erst später. War es Schicksal, War es Glück, dass die Steinfelds überlebten? Es war beides, dass sie die Befreiung am 8. und 9. Mai 1945 durch die Rote Armee erlebten und auswandern konnten ins Land ihrer Vorfahren.

Mit Gerda Steinfeld ist Maimon Maor nach Oelsnitz gekommen. Geboren 1946 in Tel Aviv, ist die Geschichte seiner Eltern eine andere. „Mein Urgroßvater zog 1905 nach Plauen, weil das eine aufblühende Stadt war. 1913 wurde meine Mutter geboren. Wenn sie vom Vogtland erzählte, dann immer nur begeistert. Trotzdem ist sie 1933 mit einem ihrer Brüder ins Gelobte Land gegangen. Sie müssen schon damals geahnt haben, was in Deutschland passieren wird, und hatten einfach Glück. 70. Menschen aus der Verwandtschaft sind geblieben. Es gibt sie nicht mehr.“

Über die Geschichte, über das Leben der Juden während der Nazi-Zeit gibt es Filme, Bücher und Dokumentationen, darüber spricht Lehrer Matthias Specht vor der 9b im Unterricht. Aber so hautnah, wie unlängst bei einem Aufenthalt der Klasse im ehemaligen KZ Flossenbürg, so bewegend wie gestern wird sie anders wohl nicht begreifbar.